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PrÀvention digital gedacht

PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch – digital gedacht?

Als ein „Spezialbereich“ in der PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch wird hĂ€ufig der Umgang mit digitalen Medien gesehen. ZeitgemĂ€ĂŸe PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch jedoch kann nicht ohne die BerĂŒcksichtigung der digitalen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen umgesetzt werden. „Digitales“ Leben und „analoges“ Leben lĂ€sst sich fĂŒr sie nicht mehr trennen. Beide Seiten sind ein gleichwertiger Teil ihrer Lebenswelt.

Auch im aktuellen Monitoring zum Stand der PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch (UBSKM 2019:2) wurde z.B. fĂŒr den Arbeitsbereich Schule benannt, dass sexualisierte Gewalt mittels digitaler Medien im schulischen Alltag sehr prĂ€sent ist, wobei es wenig vorhandene Konzepte zu diesem Thema gibt.  Es ist notwendig, neben den Risiken insbesondere die Chancen der digitalen Medien zu erkennen, um diesen Teil der Lebenswelt der jungen Generation in seiner Bedeutung wertschĂ€tzen zu können.

Dazu bedarf es in erster Linie einer Offenheit von FachkrĂ€ften gegenĂŒber den Nutzer*innen und einer grundsĂ€tzlichen digitalen Medienkompetenz.

Um wirklich passende Schutzkonzepte zur PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch zu erstellen, die sich an der Lebenswelt von MĂ€dchen* und Jungen* ausrichten, ist es wichtig, das bisherige Wissen ĂŒber Funktionsweisen digitaler Medien und MedienpĂ€dagogik mit Schutzkonzepten zu verknĂŒpfen. So wird doch aus Fallanalysen deutlich, dass mittlerweile in einem Großteil der bekannt gewordenen FĂ€lle von sexuellem Missbrauch digitale Medien eingesetzt wurden.

Allerdings wird dieses Wissen bisher noch selten in der Erstellung von Schutzkonzepten berĂŒcksichtigt. Dem möchten wir entgegenwirken!

Was hat sich durch die Entwicklung der letzten Jahre, durch die fortschreitende Digitalisierung, im Bereich der PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch verĂ€ndert? Wer muss mitgedacht werden und was heißt das konkret fĂŒr die Praxis in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen? Welche Bausteine von Schutzkonzepten mĂŒssen neu gedacht oder erweitert werden?

Mit unseren Angeboten möchten wir genau diese Fragen beantworten.

Unsere Angebote

Wir bieten regelmĂ€ĂŸig Fortbildungen in unserem Bildungsprogramm zu diesem Thema, die aktuellen Veranstaltungen finden Sie auf unserer Website.

DarĂŒber hinaus kommen wir gerne in Ihre Einrichtung! Wir bieten folgende Inhouse-Fortbildungen an:

 

Weitere Informationen können Sie einholen bei info@amyna.de

 

Wilhelm Loehe Schule - PrÀventionspreis 2019

2019 Wilhelm-Löhe-Schule

Am 16.05.2019 wurde die Wilhelm-Löhe-Schule mit dem AMYNA-PrĂ€ventionspreis 2019 ausgezeichnet. Sie hat umfassende Maßnahmen zur PrĂ€vention sexueller Gewalt im Sinne eines Schutzkonzeptes entwickelt und zeigt damit ein hohes VerantwortungsgefĂŒhl. Die Wilhelm-Löhe-Schule ist eine evangelische, kooperative Gesamtschule in NĂŒrnberg, die sowohl eine Grund-, Mittel- und Realschule, als auch ein Gymnasium und eine Fachoberschule anbietet.

Christine Rudolf-Jilg dazu in ihrer Laudatio: „Insgesamt gesehen hat die WLS damit beeindruckend viele Bausteine fĂŒr ein schulisches Schutzkonzept entwickelt und implementiert. (
) Die Wilhelm-Löhe-Schule hat sich erfreulich gut aufgestellt und ist fĂŒr das, was die Zukunft bringen wird, gut gerĂŒstet.“

Wilhelm Loehe Schule - PrÀventionspreis 2019

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

V.l.n.r.: Christine Rudolf-Jilg (ehemalige Mitarbeiterin AMYNA e.V.) und die PreistrÀger*innen

Ein Foto in DruckqualitÀt senden wir Ihnen bei Bedarf gerne zu.

Pressemitteilung zur Preisverleihung am 16.05.2019 (PDF, nicht barrierefrei, 166 KB)

 

Ein Sonderpreis ging an die Förderschule Dahlener Straße aus Mönchengladbach, deren Laudatio  Nina Tellmann von der Fachstelle Zornröschen (ebenfalls Mönchengladbach) hielt. Die Förderschule aus NRW trat außer Konkurrenz an, da der Preis eigentlich auf bayerische Einrichtungen beschrĂ€nkt ist.

PrĂ€ventionspreis Dahlener Straße

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schutzkonzepte

Schutzkonzepte entwickeln

AMYNA-PrÀventionspreis - PreistrÀgerinnen 2017

2017 Inobhutnahmestelle Rosamunde

2017 wurde die Inobhutnahmestelle „Rosamunde“ fĂŒr FlĂŒchtlingsmĂ€dchen des Internationalen Bundes (IB) dafĂŒr ausgezeichnet, dass die Mitarbeiterinnen innerhalb kurzer Zeit – in weniger als 2 Jahren – sowohl ein Schutzkonzept als auch ein kultursensibles sexualpĂ€dagogisches Konzept eingefĂŒhrt haben. Als junge Einrichtung der FlĂŒchtlingshilfe so engagiert Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der MĂ€dchen* ein- und durchzufĂŒhren ist etwas Besonderes und besonders hervorzuheben.

AMYNA-PrÀventionspreis - PreistrÀgerinnen 2017

Vorne v.l.n.r.: Angela Hildebrand, Verena Wolf, Michaela Bröring (Rosamunde, Internationaler Bund), hinten v.l.n.r.: Rebecca Fertl (Ombudsfrau der „Rosamunde“), Anja Bawidamann (ehemalige Mitarbeiterin AMYNA e.V.)

Foto in DruckqualitÀt (JPEG, 4,8 MB)

Fachvortrag zur Preisverleihung am 18.05.2017 (PDF, nicht barrierefrei, 271 KB)

 

2015 Stadt Freising, Amt fĂŒr KindertagesstĂ€tten, Schulen und Sport

2015 wurde die Stadt Freising, Amt fĂŒr KindertagesstĂ€tten, Schulen und Sport als erste Kommune in Bayern fĂŒr ein umfassendes Schutzkonzept mit dem AMYNA PrĂ€ventionspreis ausgezeichnet.

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(Bildtitel: Paul Ploss (Betz-Chrom), Elisabeth Pentenrieder-Giermann (Stadt Freising), Eva Bönig (Stadt Freising, 2. BĂŒrgermeisterin) und Christine Rudolf-Jilg (ehemalige Mitarbeiterin AMYNA e.V., Laudatio)

Laudatio fĂŒr die Stadt Freising, Amt fĂŒr KindertagesstĂ€tten, Schulen, Sport (PDF, nicht barrierefrei)  |  Foto PrĂ€ventionspreis 2015 in DruckqualitĂ€t

 

2012 Verein Arbeit fĂŒr Jugend e.V.

2012 wurde der Verein Arbeit fĂŒr Jugend e.V. fĂŒr sein Engagement bei der Entwicklung eines PrĂ€ventionspaketes zum Schutz von MĂ€dchen* und Jungen* vor sexuellem Missbrauch mit dem AMYNA-PrĂ€ventionspreis ausgezeichnet. Insgesamt hat der Verein mit ausgesprochener Ernsthaftigkeit und ProfessionalitĂ€t einen VerĂ€nderungsprozess eingeleitet und ein sehr umfassendes Paket der PrĂ€vention und Intervention vorgelegt, dass in seiner Konsequenz und Ernsthaftigkeit bei der EinfĂŒhrung innerhalb eines Patenschaftsprojekts mit Sicherheit als beispielhaft angesehen werden kann.

Laudatio als PDF (nicht barrierefrei)

Preisverleihung AMYNA PrĂ€ventionspreis – Laudatio

22.03.2012

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Laudatio von Christine Rudolf-Jilg (ehemalige Mitarbeiterin AMYNA)
(es gilt der gesprochene Text)

Sehr geehrte PreistrÀger*innen, sehr geehrte Damen und Herren,

auch ich möchte Sie ganz herzlich bei AMYNA, dem Verein zur Abschaffung von sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt willkommen heißen.

Kein Kind kann sich alleine vor sexuellem Missbrauch schĂŒtzen, das hat meine Kollegin Frau Karlstetter bereits eingangs erwĂ€hnt. Umso wichtiger ist es, dass Erwachsene, die fĂŒr Kinder und Jugendliche Verantwortung tragen, Schutzaufgaben ĂŒbernehmen.

Ich freue mich ausgesprochen, dass ich heute die Ehre habe, fĂŒr einen Verein die Laudatio halten zu dĂŒrfen, dessen Arbeitsfeld mir persönlich ganz besonders am Herzen liegt. Es ist die PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch im Rahmen von Patenschaftsprojekten. Bevor ich zur WĂŒrdigung der PreistrĂ€ger komme, erlauben Sie mir daher – wie gewohnt – einen fachlichen Überbau zu diesem Themenbereich zu geben.

Paten spielen eine wichtige Rolle im Leben von Kindern und Jugendlichen. Das war bereits frĂŒher so, gilt aber gerade auch heute wieder. Fast alle Kulturen kennen Patenschaften von (nicht verwandten) Erwachsenen, die das Kind beim Heranwachsen begleiten, Anteil nehmen und es unterstĂŒtzen. In den vergangenen Jahren sind Patenschaftsprojekte fast wie Pilze aus dem Boden geschossen. Susanne Huth von der InBas Sozialforschung[1] sprach anlĂ€sslich eines Kongresses in Berlin von einem „GrĂŒndungsboom“ bei Patenschaftsprojekten. Die Bandbreite reicht von Familienpatenschaften, ĂŒber Patenschaften fĂŒr Kinder unterschiedlichen Alters, Job- bzw. Ausbildungspatenschaften, umfasst aber auch Karrierepatenschaften fĂŒr NachwuchskrĂ€fte und Besuchsdienste fĂŒr alte bzw. gebrechliche Menschen.

Thema heute werden die Patenschaften sein, deren Zielgruppe vornehmlich Kinder und Jugendliche in sogenannten 1:1 Kontakten sind, also eine Patin oder ein Pate im Kontakt mit einem Kind oder Jugendlichen. GefĂ€hrdungen in anderen Patenschaftsbereichen sollen nicht geleugnet werden, bedĂŒrfen aber zu einem anderen Zeitpunkt genauerer Betrachtung.

Patenschaftsprojekte fĂŒr Kinder und Jugendliche sind „in“, versprechen sie doch (finanzierbare) Lösungen fĂŒr den Funktionsverlust von Familien im Bereich der Erziehung, Bildung und Versorgung, fĂŒr die zunehmenden Anforderungen in der Schule und beim Berufseinstieg, fĂŒr in unserer Gesellschaft deutlich belastete Eltern und deren Kinder, wie Arbeitslose, (psychisch) Kranke, Menschen mit Migrationshintergrund usw. „Sie zielen so gesehen darauf ab, die Verluste und Defizite durch die Bildung neuer außerfamiliĂ€rer Beziehungen auszugleichen“, beschreibt ein Flyer des ParitĂ€tischen in Hessen die Chancen von Patenschaftsprojekten.

So ĂŒberrascht es nicht, dass sich in der Datenbank „Patenschaften-Aktiv“ derzeit 1244 (2009: 594) EintrĂ€ge fĂŒr Organisationen, die Patenschaften vermitteln und begleiten, finden.[2] Die Aufgaben der Vermittlungsstellen sind vielfĂ€ltig. Neben der Gewinnung geeigneter Patenkinder und PatInnen geht es auch um das sogenannte Matching, d.h. die passgenaue Zusammenstellung eines „PatIn-Kind-Paares“. Die Schulung von PatInnen sowie die Betreuung der Eltern ist ebenso Aufgabe der Vermittlungsstelle wie die Beratung und UnterstĂŒtzung von Patenkind und Pate bzw. Patin in Krisenzeiten und bei auftauchenden Problemen.

Zielgruppen der Patenschaften sind vor allem Kinder und Jugendliche, die als sozial benachteiligt in unserer Gesellschaft gesehen werden. Daher gibt es Bildungspatenschaften fĂŒr Kinder und Jugendliche, die schulische Schwierigkeiten haben, Patenschaften fĂŒr (junge) MĂŒtter* und ihre Neugeborenen, Patenschaften fĂŒr Kinder psychisch kranker Eltern, Patenschaften fĂŒr (minderjĂ€hrige) FlĂŒchtlinge und sozial benachteiligte Kinder aus Familien, in denen die Eltern arbeitslos oder aus anderen GrĂŒnden sehr arm sind, Patenschaften fĂŒr Kinder aus Migrantenfamilien[3], Patenschaften fĂŒr Jugendliche ohne Schulabschluss usw. Auch alleinerziehende Frauen* bewerben sich hĂ€ufig um eine Patenschaft fĂŒr ihr Kind, hĂ€ufig schon deswegen, damit das Kind eine konstante mĂ€nnliche Kontaktperson bekommt.

Die PatInnen sind fĂŒr die Kinder manchmal sogar eine Art Familienersatz, möglichst immer aber Vertrauensperson und Begleitung durch eine hĂ€ufig schwierige und manchmal sogar feindlich erlebte Umwelt. Die Kontakte reichen von wenigen Wochenstunden hin zum „Rund um die Uhr-Einsatz“ bei Krisen im Elternhaus, etwa wenn fĂŒr eine alleinerziehende Mutter*, die psychisch krank ist, ein Krankenhausaufenthalt erforderlich wird.

Kinder profitieren von diesen Patenschaften deutlich, wie Forschungsberichte zeigen (z.B. Projekt „Balu und Du“[4]). Eine der Forscher*innen bewertet die Ergebnisse als „ermutigend“, da sie in einigen Dimensionen sogar die EffektstĂ€rken professioneller Therapieprogramme ĂŒbertreffen. Es handelt sich um positive Entwicklungen, die dazu einladen, Patenschaftsprojekte auszuweiten und vielen benachteiligten Kindern zugĂ€nglich zu machen.

Paten und Patinnen finden sich zunehmend. Immer mehr (auch junge) Menschen möchten einen (ehrenamtlichen) Beitrag dazu leisten, unsere Gesellschaft ein StĂŒckchen gerechter zu machen. Ältere Menschen wollen hĂ€ufig zurĂŒckgeben, was sie selbst positiv erleben durften – eine unbeschwerte Kindheit und Jugend und aufmerksame und unterstĂŒtzende Erwachsene, die sie begleiteten auf dem Weg ins Erwachsenenalter. Manche Menschen im mittleren Lebensabschnitt wollen ihrem Leben neben Karrierestreben und Freizeit auch einen „Sinn“ geben und suchen nach einer Aufgabe, die sie selbst bereichert und fĂŒr die sie keinen Lohn (im Sinne von Geld) verlangen.

Die allermeisten Patinnen und Paten handeln aus lauteren Motiven, aus dem Wunsch heraus sich sozial zu engagieren und die Gesellschaft positiv zu verĂ€ndern. Es gibt jedoch auch Menschen, die den Rahmen von Patenschaftprojekten fĂŒr sexuelle Übergriffe und sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nutzen. Berichte aus Patenschaftsprojekten, Erkenntnisse aus der TĂ€ter*innenforschung sowie aus der Praxis der PrĂ€ventions- und Interventionsarbeit liefern hierzu Informationen.

Sexueller Missbrauch findet nur selten durch sogenannte FremdtĂ€ter*innen statt, meist sind die TĂ€ter*innen den Kindern und Jugendlichen bekannt. Aus der TĂ€terforschung wissen wir, dass TĂ€ter*innen Kinder und Jugendliche in der Regel gezielt auswĂ€hlen und dann wĂ€hrend des sogenannten „Anbahnungs- bzw. Groomingprozesses“ den Kontakt aufbauen und die Übergriffe vorbereiten. Dabei schĂ€tzen sie ein Umfeld, das die Kinder nicht ausreichend schĂŒtzen kann, sei es aus Unwissenheit, sei es aus mangelndem Selbstbewusstsein, sei es aufgrund fehlender eigener Schutzkompetenzen[5].

Kinder, die bedĂŒrftig sind, die also aufgrund mangelnder emotionaler Zuwendung in der Familie, mangelnder materieller Ressourcen im Elternhaus, mangelnder Ausbildung von SelbstwertgefĂŒhl und Selbstbewusstsein usw. froh darĂŒber sind, wenn sich ihnen jemand ausschließlich und aufmerksam, anfangs meistens auch liebevoll zuwendet – diese Kinder können sich noch weniger als andere Kinder, vor planvoll vorgehenden TĂ€terInnen die sie gezielt manipulieren, selbst schĂŒtzen.

TĂ€terInnen wissen um die Strafbarkeit des eigenen Tuns und tun alles um eine Aufdeckung von sexuellem Missbrauch zu verhindern. Nach dem Aufbau eines tragfĂ€higen emotionalen Kontaktes, bei dem sie Vertrauen herstellen und nebenbei WĂŒnsche, BedĂŒrfnisse und Hoffnungen des Kindes ausforschen, beginnen sie mit kleinen Grenzverletzungen vorsichtig auszuloten, wie stark der Widerstand des Kindes ist. Ein „versehentliches“ Streifen der BrĂŒste bei jungen MĂ€dchen*, der Klaps auf den Po bei einem Jungen*, das „versehentliche“ Öffnen der ToilettentĂŒr, all dies kann bagatellisiert werden und rechtfertigt alleine noch keine Anzeige. Kleine Aufmerksamkeiten, die an den (vorher ausgeforschten) Interessen, Hobbies und WĂŒnschen der Kinder andocken, festigen die Beziehung weiter.

Hier kann es bereits zu ersten sexuellen Übergriffen kommen, was ein Bericht einer Fortbildungsteilnehmerin illustrieren soll: Ein Junge*, der Schokolade liebt, diese jedoch zuhause nicht hĂ€ufig essen darf, erhĂ€lt von einem Bekannten einen „Schokoladenpenis“ geschenkt, den der TĂ€ter selbst „versehentlich“ so gekauft hat. Der Junge* schwankte zwischen der Lust auf (heimliche) Schokolade und der Irritation, dass diese in Penisform und „eklig“ ist. Andere Varianten desselben bösen Spieles sind z.B. die Erlaubnis heimlich mit dem TĂ€ter Alkohol zu trinken, ein (verbotenes) Computerspiel zu spielen o.Ă€.. Parallel beklagen sich TĂ€ter u.U. in dieser Phase des Groomings gegenĂŒber den anderen (sorgeberechtigten) Erwachsenen, dass das Kind durch seine Distanzlosigkeit auffalle („klebt an mir wie eine Klette“) oder es mit der Wahrheit nicht so genau nehme („lĂŒgt wie gedruckt“) und sichert sich so gegen eine eventuelle Aufdeckung des Missbrauchs durch das Kind ab.

Eine zunehmende Steigerung der Übergriffe hĂ€lt der TĂ€ter meist in der Waagschale mit positiver Zuwendung bzw. spĂ€ter auch Drohungen gegenĂŒber dem Kind. Drohungen werden mit Wissen ĂŒber familiĂ€re ZusammenhĂ€nge oder Verbotenem, das das Kind selbst getan hat, verbunden („wenn das rauskommt, musst du ins Heim“, „Dann kommt auch raus, dass du Alkohol getrunken hast“ usw.). Kinder, aber auch Jugendliche durchschauen das perfide Vorgehen von TĂ€terInnen meist erst, wenn es zu massiveren sexuellen Übergriffen kommt und haben leider dann hĂ€ufig ein GefĂŒhl der Mitschuld, das vom TĂ€ter systematisch genĂ€hrt wird.

Ohne die Hilfe und UnterstĂŒtzung von Erwachsenen, sind alle Kinder solchen manipulativen Strategien in der Regel schutzlos ausgeliefert, da es fĂŒr sie kaum möglich ist, diese zu durchschauen. Wie ich eingangs erlĂ€utert habe, haben vermutlich gerade Kinder und Jugendlichen, fĂŒr die Patenschaftsprojekte angeboten werden, ein erhöhtes Risiko sexuelle Gewalt zu erleben. . ZusĂ€tzlich ist hier hĂ€ufig auch die SchutzfĂ€higkeit der Eltern aufgrund eigener Belastungen stark eingeschrĂ€nkt. Alle oben beschriebenen TĂ€terstrategien greifen, so darf man vermuten, bei der Zielgruppe, die fĂŒr Patenschaftsprojekte ausgewĂ€hlt wird, sogar besonders gut, gehören viele Bestandteile der TĂ€terstrategien doch sogar zu den wĂŒnschenswerten Anforderungen an PatInnen. Sie sollen tragfĂ€hige Vertrauensbeziehungen zu „ihrem“ Patenkind aufbauen. Sie sollen sich fĂŒr die WĂŒnsche, Hoffnungen, Interessen des Patenkindes interessieren. Sie sollen die SchwĂ€chen der Familie kennen und genau dort unterstĂŒtzen. HĂ€ufig wird vorausgesetzt, dass sie fĂŒr Kinder oder Jugendliche Patenschaften ĂŒbernehmen, die aufgrund frĂŒhkindlicher Defiziterfahrungen eine NĂ€he-Distanz-Problematik mitbringen oder andere VerhaltensauffĂ€lligkeiten aufweisen. Viele Kinder haben weder in ihrer Sozialisation in Elternhaus und Schule gelernt, dass sie Respekt und Achtung verdienen, noch dass ihnen geholfen wird, wenn sie sich ĂŒber Erwachsene beschweren.

Sind Patenschaftsprojekte also ein „El Dorado“ fĂŒr PĂ€dokriminelle? Auf den ersten Blick scheint es so zu sein. Weder lassen die bislang bundesweit vorliegenden QualitĂ€tsstandards fĂŒr Patenschaftsprojekte eine ausgeprĂ€gte SensibilitĂ€t fĂŒr das skizzierte Problem erkennen, noch sind in der Breite der Patenschaftsprojekte spezifische Maßnahmen ersichtlich, die geeignet sind, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch sicherzustellen.

Patenschaftsprojekte sind sicherlich in der Regel positiv zu bewerten und sinnvoll, wenn verantwortungsvolle Erwachsene die Kinder und Jugendlichen begleiten, sie unterstĂŒtzen und dafĂŒr sorgen, dass ein Grenzen achtender und respektvoller Umgang mit den Kindern gepflegt wird. Daher kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, Patenschaftsprojekte grundsĂ€tzlich in Frage zu stellen, allerdings muss schnellstmöglich flankierend fĂŒr alle diese Projekte sichergestellt werden, dass die Kinder und Jugendlichen in Patenschaften bestmöglichst vor sexuellen Übergriffen geschĂŒtzt sind.

Patenschaftsprojekte bieten kostengĂŒnstige UND hĂ€ufig funktionierende Lösungen fĂŒr gesellschaftliche Integrationsprobleme. Es kann also nicht darum gehen, sie zu verdammen und abzuschaffen. Wie so hĂ€ufig, geht es um ein sowohl als auch. All die Anbieter*innen von Patenschaftsprojekten mĂŒssen, wollen sie das Wohl der Kinder und Jugendlichen wirklich sichern, Maßnahmen entwickeln bzw. aus anderen Bereichen adaptieren, die sicherstellen, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch in Patenschaftsprojekten adĂ€quat berĂŒcksichtigt wird.

FĂŒr diese notwendigen Maßnahmen der PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch sind (personelle und finanzielle) Ressourcen erforderlich, ĂŒber die Patenschaftsprojekte aktuell meist nicht verfĂŒgen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass Politik und Gesellschaft, wollen sie den Ausbau von Patenschaftsprojekten weiter fördern, nicht umhin kommen, die bestehenden Projekte ausreichend auszustatten, aber auch eine Förderung auch mit entsprechenden Auflagen zur Verbesserung des Schutzes zu verbinden. Diese „gĂŒnstigen“ Patenschaften werden dann zwar teurer, aus ethischer Sicht scheint es jedoch unvertretbar, die Gefahr von sexuellem Missbrauch, die aus Sicht von FachkrĂ€ften in diesen Projekten so offensichtlich gegeben ist, auf Kosten betroffener Kinder und Jugendlicher dauerhaft zu ignorieren.

Auch wir selbst wollen einen Beitrag leisten. Zum Jahresende wird ein Praxishandbuch „PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch in Patenschaftsprojekten“ von uns herausgegeben werden, das Vermittlungsstellen mit ausgewĂ€hlten Materialien dabei unterstĂŒtzen soll, den Schutz zu verbessern und auszubauen.

Ich komme nun zur speziellen WĂŒrdigung der diesjĂ€hrigen PreistrĂ€ger*in und damit wird auch nachvollziehbar, was der Anlass fĂŒr die bisherigen inhaltlichen AusfĂŒhrungen ist.

Arbeit fĂŒr Jugend e.V. ist ein Verein, der im Landkreis Wolfratshausen angesiedelt ist. Er bietet seit 1998 fĂŒr HauptschĂŒler*innen mit einem Notendurchschnitt unter 3,5 sogenanntes Coaching an, sprich UnterstĂŒtzung bei der Quali-Vorbereitung, bei der Bewerbung und beim VorstellungsgesprĂ€ch, bei der Ausbildungsplatzsuche, aber auch beim Einstieg in das Berufsleben. Die Coaches, so heißen dort die Paten und Patinnen, sind ehrenamtlich tĂ€tig und kĂŒmmern sich kostenlos ein- bis zweimal die Woche um die SchĂŒler und SchĂŒlerinnen. Sie arbeiten vernetzt mit der betreffenden Schule sowie zahlreichen weiteren Akteuren im Landkreis.

Der Verein „Arbeit fĂŒr Jugend e.V.“ hat bereits Ende 2010 spezifische Risiken, die in Patenschaftsprojekten bestehen, erkannt und der Vorstand beschloss damals, den Schutz vor sexuellem Missbrauch im Rahmen der eigenen Vereinsaufgaben sehr hoch zu bewerten. Gut ein Jahr hat der Verein (obwohl ausschließlich ehrenamtlich tĂ€tig) sich daraufhin nun in VortrĂ€gen, Workshops und Vereinssitzungen mit der Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Coaching-Angebote auseinandergesetzt.

Mittlerweile gibt es einen selbst entwickelten und breit im Verein diskutierten Verhaltenskodex, den jede Person bei Beginn der TĂ€tigkeit als Coach unterschreibt. Dass neue Coaches von den beiden Vorstandsvorsitzenden, Herrn Niegel und Frau Kallen, im Gegensatz zu vielen anderen Patenschaftsprojekten, Ă€ußerst sorgfĂ€ltig geprĂŒft und ausgewĂ€hlt werden, ist ein weiterer Teil des Schutzpaketes. ErgĂ€nzend wurde fĂŒr den Verdachtsfall ein Krisenleitfaden mit AMYNA diskutiert und eingefĂŒhrt, bei dem klar geregelt ist, wie der Vorstand im Verdachtsfall kompetent und vernĂŒnftig reagieren kann.

Besonderes Anliegen der Vereinsmitglieder und Coaches war es, Schutzvereinbarungen zu entwickeln, die der besonderen Situation von 1:1 Patenschaften Rechnung tragen, aber auch in der Praxis funktionieren, d.h. praktikabel sind.

So erinnere ich mich an eine Debatte mit den Coaches, die sehr ernsthaft und um Konsens bemĂŒht zum Thema „Geschenke“ der Coaches fĂŒr die Jugendlichen gefĂŒhrt wurde. Einerseits war allen Beteiligten klar, dass ĂŒber die Schiene von materiellen Geschenken u.U. eine Manipulation der Jugendlichen durch einen TĂ€ter oder eine TĂ€terin möglich wĂŒrde, andererseits war es einigen Coaches sehr wichtig, die meist materiell benachteiligten Jugendlichen auch ab und zu mal „belohnen“ oder „beschenken“ zu dĂŒrfen. Ein Englisch-Lexikon muss möglich sein, ĂŒber das Fahrrad, das der Jugendliche dringend brĂ€uchte und das man selbst ausmistet, wurde debattiert, eine Playstation, die von mir ins Spiel gebracht wurde, dagegen als mögliches Geschenk einhellig abgelehnt. Die Coaches haben sich entschieden die Möglichkeit des Herstellens von AbhĂ€ngigkeiten möglichst gering zu halten und haben sich hierzu eine Regel gegeben.  Diese lautet: „Geschenke sind eine Ausnahmen und ĂŒbersteigen nicht den Wert von 25 €. Ich informiere ĂŒber grĂ¶ĂŸere Geschenke an Dich immer den Vorstand“. So hat der Verein einen Schritt unternommen Transparenz herzustellen und die Möglichkeiten AbhĂ€ngigkeiten herzustellen eingedĂ€mmt. Weitere Schutzvereinbarungen z.B. zum Thema Jugendschutz oder Geheimnisse wurden gemeinsam erarbeitet, diskutiert und beschlossen.

Über diese Schutzvereinbarungen werden sowohl die Eltern als auch die Jugendlichen informiert und gebeten, bei einem Verstoß des Coaches den Vorstand zu informieren. So soll ein Netz der Sicherheit gewoben werden, dass den „Wolf im Schafspelz“ fĂŒr alle erkennbar macht.

Ausgangspunkt aller bereits beschriebenen Maßnahmen waren Schulungseinheiten fĂŒr den Verein zum Thema „sexueller Missbrauch“ und „Möglichkeiten der PrĂ€vention“.

Mit großer Eindeutigkeit und Klarheit stellten sich wĂ€hrend des gesamten Entwicklungsprozesses sowohl der Vorstand, als auch die Vereinsmitglieder und Coaches auf Seiten des Kinderschutzes. Sie ließen sich dabei immer wieder auf den sicherlich beĂ€ngstigenden Gedanken ein, was wĂ€re, wenn einer von ihnen, ein Coach, die Betreuung eines Jugendlichen fĂŒr sexuelle Übergriffe nutzen wĂŒrde. Deutlich wurde immer wieder das Ringen des Vorstands, der Vereinsmitglieder und Coaches um den Zusammenhalt, um eine gemeinsam getragene Haltung, darum, dass bei diesem VerĂ€nderungsprozess niemand verloren gehen sollte. Gleichzeitig stand die Verbesserung des Kinderschutzes immer vorne an.

Insgesamt hat der Verein „Arbeit fĂŒr Jugend e.V.“ aus unserer Sicht mit ausgesprochen hoher Ernsthaftigkeit und ProfessionalitĂ€t einen VerĂ€nderungsprozess im Verein eingeleitet, und sich gemeinsam auf den Weg gemacht. Dieser Prozess hat zum Ziel  die PrĂ€vention von sexuellem Missbrauch und die Intervention bei Verdacht in den Verein beispielhaft zu integrieren. Einen solchen Prozess in einem Ehrenamtsprojekt einzuleiten erfordert viel Engagement und KontinuitĂ€t. So stellen wir uns Maßnahmen zum Schutz vor Missbrauch in Patenschaftsprojekten vor! Wir wĂŒrden uns daher sehr freuen, wenn auch das Preisgeld, das Frau Adolf-Betz von der Firma Betz-Chrom seit Jahren ergĂ€nzend zu unserem Preis zur VerfĂŒgung stellt, fĂŒr die Weiterentwicklung und zukĂŒnftige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch innerhalb des Vereins Verwendung finden wĂŒrde.

Sehr geehrte PreistrĂ€ger*in, liebe Frau Kallen, lieber Herr Niegel, stellvertretend fĂŒr den Vorstand von Arbeit fĂŒr Jugend e.V., liebe Mitglieder des Vereins, liebe Coaches, wir freuen uns sehr, dass wir Ihnen heute als Anerkennung und mit einem Dank fĂŒr Ihre Klarheit, eindeutige Haltung und ihre Schutzmaßnahmen fĂŒr Kinder und Jugendliche verbunden, den AMYNA-PrĂ€ventionspreis 2012 ĂŒberreichen dĂŒrfen und bitten Sie nun den Preis in Empfang zu nehmen.

 


[1] InBas Sozialforschung ist ein privates Sozialforschungs- und Sozialplanungsinstitut mit Sitz in Frankfurt am Main. Inhaltliche Schwerpunkte sind Migration und Integration, freiwilliges und bĂŒrgerschaftliches Engagement, Bildung und BeschĂ€ftigung, Seniorenpolitik und Altenhilfe.

[2] Stand: 21.03.2012

[3] Lt. Patenatlas der Aktion „Zusammen-Wachsen“, die von der InBas-Sozialforschung 166 Patenschaftsprojekte in Deutschland unter-suchen ließ, liegt der durchschnittliche Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in den untersuchten Patenschaftsprojekten bei rund dreiviertel der 15.000 Kinder, Jugendlichen und Eltern.

[5] Eine beschrĂ€nkte Möglichkeit ihre Kinder umfassend vor Gefahren zu schĂŒtzen, ist bei Eltern dann eher zu vermuten , wenn sie zeitweise selbst mit ihrem eigenen Leben ĂŒberfordert sind, so z.B. bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung, bei Menschen, die arbeitslos und sehr arm sind, bei Menschen, die als FlĂŒchtlinge in unser Land kommen usw..

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