2012 wurde der Verein Arbeit für Jugend e.V. für sein Engagement bei der Entwicklung eines Präventionspaketes zum Schutz von Mädchen* und Jungen* vor sexuellem Missbrauch mit dem AMYNA-Präventionspreis ausgezeichnet. Insgesamt hat der Verein mit ausgesprochener Ernsthaftigkeit und Professionalität einen Veränderungsprozess eingeleitet und ein sehr umfassendes Paket der Prävention und Intervention vorgelegt, dass in seiner Konsequenz und Ernsthaftigkeit bei der Einführung innerhalb eines Patenschaftsprojekts mit Sicherheit als beispielhaft angesehen werden kann.
Laudatio als PDF (nicht barrierefrei)
Preisverleihung AMYNA Präventionspreis – Laudatio
22.03.2012
Laudatio von Christine Rudolf-Jilg
(es gilt der gesprochene Text)
Sehr geehrte Preisträger*innen, sehr geehrte Damen und Herren,
auch ich möchte Sie ganz herzlich bei AMYNA, dem Verein zur Abschaffung von sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt willkommen heißen.
Kein Kind kann sich alleine vor sexuellem Missbrauch schützen, das hat meine Kollegin Frau Karlstetter bereits eingangs erwähnt. Umso wichtiger ist es, dass Erwachsene, die für Kinder und Jugendliche Verantwortung tragen, Schutzaufgaben übernehmen.
Ich freue mich ausgesprochen, dass ich heute die Ehre habe, für einen Verein die Laudatio halten zu dürfen, dessen Arbeitsfeld mir persönlich ganz besonders am Herzen liegt. Es ist die Prävention von sexuellem Missbrauch im Rahmen von Patenschaftsprojekten. Bevor ich zur Würdigung der Preisträger komme, erlauben Sie mir daher – wie gewohnt – einen fachlichen Überbau zu diesem Themenbereich zu geben.
Paten spielen eine wichtige Rolle im Leben von Kindern und Jugendlichen. Das war bereits früher so, gilt aber gerade auch heute wieder. Fast alle Kulturen kennen Patenschaften von (nicht verwandten) Erwachsenen, die das Kind beim Heranwachsen begleiten, Anteil nehmen und es unterstützen. In den vergangenen Jahren sind Patenschaftsprojekte fast wie Pilze aus dem Boden geschossen. Susanne Huth von der InBas Sozialforschung[1] sprach anlässlich eines Kongresses in Berlin von einem „Gründungsboom“ bei Patenschaftsprojekten. Die Bandbreite reicht von Familienpatenschaften, über Patenschaften für Kinder unterschiedlichen Alters, Job- bzw. Ausbildungspatenschaften, umfasst aber auch Karrierepatenschaften für Nachwuchskräfte und Besuchsdienste für alte bzw. gebrechliche Menschen.
Thema heute werden die Patenschaften sein, deren Zielgruppe vornehmlich Kinder und Jugendliche in sogenannten 1:1 Kontakten sind, also eine Patin oder ein Pate im Kontakt mit einem Kind oder Jugendlichen. Gefährdungen in anderen Patenschaftsbereichen sollen nicht geleugnet werden, bedürfen aber zu einem anderen Zeitpunkt genauerer Betrachtung.
Patenschaftsprojekte für Kinder und Jugendliche sind „in“, versprechen sie doch (finanzierbare) Lösungen für den Funktionsverlust von Familien im Bereich der Erziehung, Bildung und Versorgung, für die zunehmenden Anforderungen in der Schule und beim Berufseinstieg, für in unserer Gesellschaft deutlich belastete Eltern und deren Kinder, wie Arbeitslose, (psychisch) Kranke, Menschen mit Migrationshintergrund usw. „Sie zielen so gesehen darauf ab, die Verluste und Defizite durch die Bildung neuer außerfamiliärer Beziehungen auszugleichen“, beschreibt ein Flyer des Paritätischen in Hessen die Chancen von Patenschaftsprojekten.
So überrascht es nicht, dass sich in der Datenbank „Patenschaften-Aktiv“ derzeit 1244 (2009: 594) Einträge für Organisationen, die Patenschaften vermitteln und begleiten, finden.[2] Die Aufgaben der Vermittlungsstellen sind vielfältig. Neben der Gewinnung geeigneter Patenkinder und PatInnen geht es auch um das sogenannte Matching, d.h. die passgenaue Zusammenstellung eines „PatIn-Kind-Paares“. Die Schulung von PatInnen sowie die Betreuung der Eltern ist ebenso Aufgabe der Vermittlungsstelle wie die Beratung und Unterstützung von Patenkind und Pate bzw. Patin in Krisenzeiten und bei auftauchenden Problemen.
Zielgruppen der Patenschaften sind vor allem Kinder und Jugendliche, die als sozial benachteiligt in unserer Gesellschaft gesehen werden. Daher gibt es Bildungspatenschaften für Kinder und Jugendliche, die schulische Schwierigkeiten haben, Patenschaften für (junge) Mütter* und ihre Neugeborenen, Patenschaften für Kinder psychisch kranker Eltern, Patenschaften für (minderjährige) Flüchtlinge und sozial benachteiligte Kinder aus Familien, in denen die Eltern arbeitslos oder aus anderen Gründen sehr arm sind, Patenschaften für Kinder aus Migrantenfamilien[3], Patenschaften für Jugendliche ohne Schulabschluss usw. Auch alleinerziehende Frauen* bewerben sich häufig um eine Patenschaft für ihr Kind, häufig schon deswegen, damit das Kind eine konstante männliche Kontaktperson bekommt.
Die PatInnen sind für die Kinder manchmal sogar eine Art Familienersatz, möglichst immer aber Vertrauensperson und Begleitung durch eine häufig schwierige und manchmal sogar feindlich erlebte Umwelt. Die Kontakte reichen von wenigen Wochenstunden hin zum „Rund um die Uhr-Einsatz“ bei Krisen im Elternhaus, etwa wenn für eine alleinerziehende Mutter*, die psychisch krank ist, ein Krankenhausaufenthalt erforderlich wird.
Kinder profitieren von diesen Patenschaften deutlich, wie Forschungsberichte zeigen (z.B. Projekt „Balu und Du“[4]). Eine der Forscher*innen bewertet die Ergebnisse als „ermutigend“, da sie in einigen Dimensionen sogar die Effektstärken professioneller Therapieprogramme übertreffen. Es handelt sich um positive Entwicklungen, die dazu einladen, Patenschaftsprojekte auszuweiten und vielen benachteiligten Kindern zugänglich zu machen.
Paten und Patinnen finden sich zunehmend. Immer mehr (auch junge) Menschen möchten einen (ehrenamtlichen) Beitrag dazu leisten, unsere Gesellschaft ein Stückchen gerechter zu machen. Ältere Menschen wollen häufig zurückgeben, was sie selbst positiv erleben durften – eine unbeschwerte Kindheit und Jugend und aufmerksame und unterstützende Erwachsene, die sie begleiteten auf dem Weg ins Erwachsenenalter. Manche Menschen im mittleren Lebensabschnitt wollen ihrem Leben neben Karrierestreben und Freizeit auch einen „Sinn“ geben und suchen nach einer Aufgabe, die sie selbst bereichert und für die sie keinen Lohn (im Sinne von Geld) verlangen.
Die allermeisten Patinnen und Paten handeln aus lauteren Motiven, aus dem Wunsch heraus sich sozial zu engagieren und die Gesellschaft positiv zu verändern. Es gibt jedoch auch Menschen, die den Rahmen von Patenschaftprojekten für sexuelle Übergriffe und sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nutzen. Berichte aus Patenschaftsprojekten, Erkenntnisse aus der Täter*innenforschung sowie aus der Praxis der Präventions- und Interventionsarbeit liefern hierzu Informationen.
Sexueller Missbrauch findet nur selten durch sogenannte Fremdtäter*innen statt, meist sind die Täter*innen den Kindern und Jugendlichen bekannt. Aus der Täterforschung wissen wir, dass Täter*innen Kinder und Jugendliche in der Regel gezielt auswählen und dann während des sogenannten „Anbahnungs- bzw. Groomingprozesses“ den Kontakt aufbauen und die Übergriffe vorbereiten. Dabei schätzen sie ein Umfeld, das die Kinder nicht ausreichend schützen kann, sei es aus Unwissenheit, sei es aus mangelndem Selbstbewusstsein, sei es aufgrund fehlender eigener Schutzkompetenzen[5].
Kinder, die bedürftig sind, die also aufgrund mangelnder emotionaler Zuwendung in der Familie, mangelnder materieller Ressourcen im Elternhaus, mangelnder Ausbildung von Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein usw. froh darüber sind, wenn sich ihnen jemand ausschließlich und aufmerksam, anfangs meistens auch liebevoll zuwendet – diese Kinder können sich noch weniger als andere Kinder, vor planvoll vorgehenden TäterInnen die sie gezielt manipulieren, selbst schützen.
TäterInnen wissen um die Strafbarkeit des eigenen Tuns und tun alles um eine Aufdeckung von sexuellem Missbrauch zu verhindern. Nach dem Aufbau eines tragfähigen emotionalen Kontaktes, bei dem sie Vertrauen herstellen und nebenbei Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen des Kindes ausforschen, beginnen sie mit kleinen Grenzverletzungen vorsichtig auszuloten, wie stark der Widerstand des Kindes ist. Ein „versehentliches“ Streifen der Brüste bei jungen Mädchen*, der Klaps auf den Po bei einem Jungen*, das „versehentliche“ Öffnen der Toilettentür, all dies kann bagatellisiert werden und rechtfertigt alleine noch keine Anzeige. Kleine Aufmerksamkeiten, die an den (vorher ausgeforschten) Interessen, Hobbies und Wünschen der Kinder andocken, festigen die Beziehung weiter.
Hier kann es bereits zu ersten sexuellen Übergriffen kommen, was ein Bericht einer Fortbildungsteilnehmerin illustrieren soll: Ein Junge*, der Schokolade liebt, diese jedoch zuhause nicht häufig essen darf, erhält von einem Bekannten einen „Schokoladenpenis“ geschenkt, den der Täter selbst „versehentlich“ so gekauft hat. Der Junge* schwankte zwischen der Lust auf (heimliche) Schokolade und der Irritation, dass diese in Penisform und „eklig“ ist. Andere Varianten desselben bösen Spieles sind z.B. die Erlaubnis heimlich mit dem Täter Alkohol zu trinken, ein (verbotenes) Computerspiel zu spielen o.ä.. Parallel beklagen sich Täter u.U. in dieser Phase des Groomings gegenüber den anderen (sorgeberechtigten) Erwachsenen, dass das Kind durch seine Distanzlosigkeit auffalle („klebt an mir wie eine Klette“) oder es mit der Wahrheit nicht so genau nehme („lügt wie gedruckt“) und sichert sich so gegen eine eventuelle Aufdeckung des Missbrauchs durch das Kind ab.
Eine zunehmende Steigerung der Übergriffe hält der Täter meist in der Waagschale mit positiver Zuwendung bzw. später auch Drohungen gegenüber dem Kind. Drohungen werden mit Wissen über familiäre Zusammenhänge oder Verbotenem, das das Kind selbst getan hat, verbunden („wenn das rauskommt, musst du ins Heim“, „Dann kommt auch raus, dass du Alkohol getrunken hast“ usw.). Kinder, aber auch Jugendliche durchschauen das perfide Vorgehen von TäterInnen meist erst, wenn es zu massiveren sexuellen Übergriffen kommt und haben leider dann häufig ein Gefühl der Mitschuld, das vom Täter systematisch genährt wird.
Ohne die Hilfe und Unterstützung von Erwachsenen, sind alle Kinder solchen manipulativen Strategien in der Regel schutzlos ausgeliefert, da es für sie kaum möglich ist, diese zu durchschauen. Wie ich eingangs erläutert habe, haben vermutlich gerade Kinder und Jugendlichen, für die Patenschaftsprojekte angeboten werden, ein erhöhtes Risiko sexuelle Gewalt zu erleben. . Zusätzlich ist hier häufig auch die Schutzfähigkeit der Eltern aufgrund eigener Belastungen stark eingeschränkt. Alle oben beschriebenen Täterstrategien greifen, so darf man vermuten, bei der Zielgruppe, die für Patenschaftsprojekte ausgewählt wird, sogar besonders gut, gehören viele Bestandteile der Täterstrategien doch sogar zu den wünschenswerten Anforderungen an PatInnen. Sie sollen tragfähige Vertrauensbeziehungen zu „ihrem“ Patenkind aufbauen. Sie sollen sich für die Wünsche, Hoffnungen, Interessen des Patenkindes interessieren. Sie sollen die Schwächen der Familie kennen und genau dort unterstützen. Häufig wird vorausgesetzt, dass sie für Kinder oder Jugendliche Patenschaften übernehmen, die aufgrund frühkindlicher Defiziterfahrungen eine Nähe-Distanz-Problematik mitbringen oder andere Verhaltensauffälligkeiten aufweisen. Viele Kinder haben weder in ihrer Sozialisation in Elternhaus und Schule gelernt, dass sie Respekt und Achtung verdienen, noch dass ihnen geholfen wird, wenn sie sich über Erwachsene beschweren.
Sind Patenschaftsprojekte also ein „El Dorado“ für Pädokriminelle? Auf den ersten Blick scheint es so zu sein. Weder lassen die bislang bundesweit vorliegenden Qualitätsstandards für Patenschaftsprojekte eine ausgeprägte Sensibilität für das skizzierte Problem erkennen, noch sind in der Breite der Patenschaftsprojekte spezifische Maßnahmen ersichtlich, die geeignet sind, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch sicherzustellen.
Patenschaftsprojekte sind sicherlich in der Regel positiv zu bewerten und sinnvoll, wenn verantwortungsvolle Erwachsene die Kinder und Jugendlichen begleiten, sie unterstützen und dafür sorgen, dass ein Grenzen achtender und respektvoller Umgang mit den Kindern gepflegt wird. Daher kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, Patenschaftsprojekte grundsätzlich in Frage zu stellen, allerdings muss schnellstmöglich flankierend für alle diese Projekte sichergestellt werden, dass die Kinder und Jugendlichen in Patenschaften bestmöglichst vor sexuellen Übergriffen geschützt sind.
Patenschaftsprojekte bieten kostengünstige UND häufig funktionierende Lösungen für gesellschaftliche Integrationsprobleme. Es kann also nicht darum gehen, sie zu verdammen und abzuschaffen. Wie so häufig, geht es um ein sowohl als auch. All die Anbieter*innen von Patenschaftsprojekten müssen, wollen sie das Wohl der Kinder und Jugendlichen wirklich sichern, Maßnahmen entwickeln bzw. aus anderen Bereichen adaptieren, die sicherstellen, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch in Patenschaftsprojekten adäquat berücksichtigt wird.
Für diese notwendigen Maßnahmen der Prävention von sexuellem Missbrauch sind (personelle und finanzielle) Ressourcen erforderlich, über die Patenschaftsprojekte aktuell meist nicht verfügen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass Politik und Gesellschaft, wollen sie den Ausbau von Patenschaftsprojekten weiter fördern, nicht umhin kommen, die bestehenden Projekte ausreichend auszustatten, aber auch eine Förderung auch mit entsprechenden Auflagen zur Verbesserung des Schutzes zu verbinden. Diese „günstigen“ Patenschaften werden dann zwar teurer, aus ethischer Sicht scheint es jedoch unvertretbar, die Gefahr von sexuellem Missbrauch, die aus Sicht von Fachkräften in diesen Projekten so offensichtlich gegeben ist, auf Kosten betroffener Kinder und Jugendlicher dauerhaft zu ignorieren.
Auch wir selbst wollen einen Beitrag leisten. Zum Jahresende wird ein Praxishandbuch „Prävention von sexuellem Missbrauch in Patenschaftsprojekten“ von uns herausgegeben werden, das Vermittlungsstellen mit ausgewählten Materialien dabei unterstützen soll, den Schutz zu verbessern und auszubauen.
Ich komme nun zur speziellen Würdigung der diesjährigen Preisträger*in und damit wird auch nachvollziehbar, was der Anlass für die bisherigen inhaltlichen Ausführungen ist.
Arbeit für Jugend e.V. ist ein Verein, der im Landkreis Wolfratshausen angesiedelt ist. Er bietet seit 1998 für Hauptschüler*innen mit einem Notendurchschnitt unter 3,5 sogenanntes Coaching an, sprich Unterstützung bei der Quali-Vorbereitung, bei der Bewerbung und beim Vorstellungsgespräch, bei der Ausbildungsplatzsuche, aber auch beim Einstieg in das Berufsleben. Die Coaches, so heißen dort die Paten und Patinnen, sind ehrenamtlich tätig und kümmern sich kostenlos ein- bis zweimal die Woche um die Schüler und Schülerinnen. Sie arbeiten vernetzt mit der betreffenden Schule sowie zahlreichen weiteren Akteuren im Landkreis.
Der Verein „Arbeit für Jugend e.V.“ hat bereits Ende 2010 spezifische Risiken, die in Patenschaftsprojekten bestehen, erkannt und der Vorstand beschloss damals, den Schutz vor sexuellem Missbrauch im Rahmen der eigenen Vereinsaufgaben sehr hoch zu bewerten. Gut ein Jahr hat der Verein (obwohl ausschließlich ehrenamtlich tätig) sich daraufhin nun in Vorträgen, Workshops und Vereinssitzungen mit der Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Coaching-Angebote auseinandergesetzt.
Mittlerweile gibt es einen selbst entwickelten und breit im Verein diskutierten Verhaltenskodex, den jede Person bei Beginn der Tätigkeit als Coach unterschreibt. Dass neue Coaches von den beiden Vorstandsvorsitzenden, Herrn Niegel und Frau Kallen, im Gegensatz zu vielen anderen Patenschaftsprojekten, äußerst sorgfältig geprüft und ausgewählt werden, ist ein weiterer Teil des Schutzpaketes. Ergänzend wurde für den Verdachtsfall ein Krisenleitfaden mit AMYNA diskutiert und eingeführt, bei dem klar geregelt ist, wie der Vorstand im Verdachtsfall kompetent und vernünftig reagieren kann.
Besonderes Anliegen der Vereinsmitglieder und Coaches war es, Schutzvereinbarungen zu entwickeln, die der besonderen Situation von 1:1 Patenschaften Rechnung tragen, aber auch in der Praxis funktionieren, d.h. praktikabel sind.
So erinnere ich mich an eine Debatte mit den Coaches, die sehr ernsthaft und um Konsens bemüht zum Thema „Geschenke“ der Coaches für die Jugendlichen geführt wurde. Einerseits war allen Beteiligten klar, dass über die Schiene von materiellen Geschenken u.U. eine Manipulation der Jugendlichen durch einen Täter oder eine Täterin möglich würde, andererseits war es einigen Coaches sehr wichtig, die meist materiell benachteiligten Jugendlichen auch ab und zu mal „belohnen“ oder „beschenken“ zu dürfen. Ein Englisch-Lexikon muss möglich sein, über das Fahrrad, das der Jugendliche dringend bräuchte und das man selbst ausmistet, wurde debattiert, eine Playstation, die von mir ins Spiel gebracht wurde, dagegen als mögliches Geschenk einhellig abgelehnt. Die Coaches haben sich entschieden die Möglichkeit des Herstellens von Abhängigkeiten möglichst gering zu halten und haben sich hierzu eine Regel gegeben. Diese lautet: „Geschenke sind eine Ausnahmen und übersteigen nicht den Wert von 25 €. Ich informiere über größere Geschenke an Dich immer den Vorstand“. So hat der Verein einen Schritt unternommen Transparenz herzustellen und die Möglichkeiten Abhängigkeiten herzustellen eingedämmt. Weitere Schutzvereinbarungen z.B. zum Thema Jugendschutz oder Geheimnisse wurden gemeinsam erarbeitet, diskutiert und beschlossen.
Über diese Schutzvereinbarungen werden sowohl die Eltern als auch die Jugendlichen informiert und gebeten, bei einem Verstoß des Coaches den Vorstand zu informieren. So soll ein Netz der Sicherheit gewoben werden, dass den „Wolf im Schafspelz“ für alle erkennbar macht.
Ausgangspunkt aller bereits beschriebenen Maßnahmen waren Schulungseinheiten für den Verein zum Thema „sexueller Missbrauch“ und „Möglichkeiten der Prävention“.
Mit großer Eindeutigkeit und Klarheit stellten sich während des gesamten Entwicklungsprozesses sowohl der Vorstand, als auch die Vereinsmitglieder und Coaches auf Seiten des Kinderschutzes. Sie ließen sich dabei immer wieder auf den sicherlich beängstigenden Gedanken ein, was wäre, wenn einer von ihnen, ein Coach, die Betreuung eines Jugendlichen für sexuelle Übergriffe nutzen würde. Deutlich wurde immer wieder das Ringen des Vorstands, der Vereinsmitglieder und Coaches um den Zusammenhalt, um eine gemeinsam getragene Haltung, darum, dass bei diesem Veränderungsprozess niemand verloren gehen sollte. Gleichzeitig stand die Verbesserung des Kinderschutzes immer vorne an.
Insgesamt hat der Verein „Arbeit für Jugend e.V.“ aus unserer Sicht mit ausgesprochen hoher Ernsthaftigkeit und Professionalität einen Veränderungsprozess im Verein eingeleitet, und sich gemeinsam auf den Weg gemacht. Dieser Prozess hat zum Ziel die Prävention von sexuellem Missbrauch und die Intervention bei Verdacht in den Verein beispielhaft zu integrieren. Einen solchen Prozess in einem Ehrenamtsprojekt einzuleiten erfordert viel Engagement und Kontinuität. So stellen wir uns Maßnahmen zum Schutz vor Missbrauch in Patenschaftsprojekten vor! Wir würden uns daher sehr freuen, wenn auch das Preisgeld, das Frau Adolf-Betz von der Firma Betz-Chrom seit Jahren ergänzend zu unserem Preis zur Verfügung stellt, für die Weiterentwicklung und zukünftige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch innerhalb des Vereins Verwendung finden würde.
Sehr geehrte Preisträger*in, liebe Frau Kallen, lieber Herr Niegel, stellvertretend für den Vorstand von Arbeit für Jugend e.V., liebe Mitglieder des Vereins, liebe Coaches, wir freuen uns sehr, dass wir Ihnen heute als Anerkennung und mit einem Dank für Ihre Klarheit, eindeutige Haltung und ihre Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche verbunden, den AMYNA-Präventionspreis 2012 überreichen dürfen und bitten Sie nun den Preis in Empfang zu nehmen.
[1] InBas Sozialforschung ist ein privates Sozialforschungs- und Sozialplanungsinstitut mit Sitz in Frankfurt am Main. Inhaltliche Schwerpunkte sind Migration und Integration, freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement, Bildung und Beschäftigung, Seniorenpolitik und Altenhilfe.
[3] Lt. Patenatlas der Aktion „Zusammen-Wachsen“, die von der InBas-Sozialforschung 166 Patenschaftsprojekte in Deutschland unter-suchen ließ, liegt der durchschnittliche Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in den untersuchten Patenschaftsprojekten bei rund dreiviertel der 15.000 Kinder, Jugendlichen und Eltern.
[5] Eine beschränkte Möglichkeit ihre Kinder umfassend vor Gefahren zu schützen, ist bei Eltern dann eher zu vermuten , wenn sie zeitweise selbst mit ihrem eigenen Leben überfordert sind, so z.B. bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung, bei Menschen, die arbeitslos und sehr arm sind, bei Menschen, die als Flüchtlinge in unser Land kommen usw..