2010 Wichernzentrum
2010 hat das Wichernzentrum für seinen umfangreichen und nachhaltigen Einsatz zur Prävention den AMYNA-Präventionspreis erhalten. Nicht nur die gut organisierten und durchdachten Hilfen bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch, sondern auch die konzeptuell verankerten präventiven Maßnahmen, die auch die Vorbeugung sexueller Gewalt unter Kindern und Jugendlichen beinhalten, überzeugten.
Laudatio als PDF (nicht barrierefrei)
Preisverleihung AMYNA Präventionspreis 2010 – Laudatio
4.5.2010
Laudatio gehalten von Elke Schmidt, Vorstand von AMYNA, Institut zur Prävention von sexuellem Missbrauch
Sehr geehrte PreisträgerInnen,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie ganz herzlich zur Verleihung des Präventionspreises hier bei AMYNA begrüßen.
Wir freuen uns sehr, dass Sie heute zur Preisverleihung erschienen sind.
Ich freue mich deswegen besonders, weil Sie damit Ihre Anerkennung für die Arbeit der Preisträger zum Ausdruck bringen und gleichzeitig Ihr Interesse an der Präventionsarbeit von AMYNA zeigen.
Seit nunmehr 20 Jahren hat sich AMYNA zum Ziel gesetzt, sexualisierter Gewaltgegen Mädchen und Jungen entgegenzuwirken.
Um dies zu erreichen, nehmen wir die Erwachsenen in die Verantwortung.
Denn kein Kind kann sich allein schützen!
Die Verantwortung für den Schutz von Mädchen und Jungen liegt bei deren erwachsenen Bezugspersonen und letztendlich der ganzen Gesellschaft.
Durch ein breites Informations- und Fortbildungsangebot versuchen wir möglichst viele Personen, die mit Mädchen und Jungen zu tun haben, für die Präventionsarbeit zu gewinnen und zu qualifizieren.
Zudem wollen wir mit unserer Arbeit die Gesellschaft für das Thema sexueller Missbrauch sensibilisieren und Öffentlichkeit für die Präventionsarbeit herstellen.
Daher hat der Verein AMYNA beschlossen, mit der Verleihung des
Präventionspreises Institutionen oder Personen zu würdigen, die einen besonderen Beitrag zur Präventionsarbeit leisten.
Was zeichnet gute Prävention aus?
Gute Präventionsarbeit setzt an den Bedürfnissen und Interessen der Mädchen und Jungen an.
Es gilt, für ihr Recht auf körperliche und sexuelle Unversehrtheit, für ihre persönliche Würde, ihren Schutz und die Entwicklung einer selbstbestimmten Sexualität einzutreten.
Wir alle wissen längst, dass unaufgeklärte Mädchen und Jungen leichter Opfer von sexuellem Missbrauch werden und dass Kinder, die keine Sprache für Sexualität haben, die Körperteile und Berührungen nicht benennen können, sich im Falle eines sexuellen Übergriffs nicht mitteilen können.
Präventionsarbeit soll Mädchen und Jungen daher über Formen sexueller Gewalt, über Täter/innen und Handlungsmöglichkeiten informieren. Eine Voraussetzung dafür ist, ihnen zunächst Wissen über ihren Körper und Sexualität zu vermitteln.
Prävention von sexuellem Missbrauch beinhaltet daher immer auch Sexualerziehung und baut auf ihr auf.
Eine umfassende Präventionsarbeit sieht die Mädchen und Jungen zudem nicht nur als potentielle Opfer von sexueller Gewalt, sondern nimmt sie mit ihren Stärken und ihrer Lebensfreude wahr. Diese Lebensfreude drückt sich gerade bei jüngeren Kindern auch in der Freude am eigenen Körper, der Entdeckungslust und sexuellen Neugier aus.
Gleichzeitig sind viele Erwachsene – Eltern wie Fachkräfte – durch Handlungen von Mädchen und Jungen, die irgendwie sexuell wirken, irritiert und verunsichert. Wird Sexualität doch meist nur mit Erwachsenen oder Jugendlichen in Verbindung gebracht.
Das Thema Sexualerziehung fristet daher in vielen pädagogischen Einrichtungen ein Schattendasein. Auch in der Ausbildung der ErzieherInnen findet das Thema zu wenig Beachtung und vor allem Fortbildungsangebote zum Thema kindliche Sexualität und Sexualerziehung im Krippen- und Kindergartenalter sind rar.
AMNYA weist schon seit vielen Jahren auf die Bedeutung der Sexualerziehung für die Prävention hin und das Thema fließt in unsere Veranstaltungen mit ein. Sexualerziehung jedoch nur unter dem Aspekt der Gewaltprävention und kindliche Sexualität nur unter dem Fokus der Gewalt zu betrachten, greift zu kurz.
Daher haben wir bei AMYNA beschlossen, den Bereich Sexualpädagogik als eigenständigen Teil der Präventionsarbeit auszubauen und die große Nachfrage nach Elternabenden und Fortbildungen zu diesem Thema bestätigt die Notwendigkeit dieses Angebots.
Aufgabe der Sexualerziehung ist es, Mädchen und Jungen in ihrer sexuellen Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Dazu sollte die Aufmerksamkeit zunächst auf die positiven Seiten der Sexualität gerichtet werden.
Die sexuelle Entwicklung von Kindern beginnt mit der Geburt und hängt vor allem davon ab, welche Haltung zu Sexualität ihnen ihre Bezugspersonen vermitteln. Dies geschieht nicht nur durch eine aktive Sexualerziehung, sondern auch dadurch, wie wir mit Körperlichkeit, Nähe, Zärtlichkeit umgehen und auf kindliche sexuelle Aktivitäten reagieren.
Sexualerziehung findet also immer statt – ob, bewusst oder unbewusst. Eine unterstützende Sexualerziehung zu leisten, setzt daher ein großes Maß an Selbstreflexion voraus.
Um in einer Einrichtung zu einem bewussten und einheitlichen Umgang mit kindlichen sexuellen Aktivitäten zu kommen, ist es notwendig, sich mit dem Thema kindliche Sexualität auseinanderzusetzen und sich Wissen über die kindliche sexuelle Entwicklung anzueignen.
Wünschenswert für pädagogische Einrichtungen ist die Entwicklung eines sexualpädagogischen Konzepts, das Grundsätze für die sexualpädagogische Arbeit festlegt und den MitarbeiterInnen damit Klarheit, Sicherheit und Fachlichkeit für den pädagogischen Alltag vermittelt. Dies unterstreicht auch die Qualität der Einrichtung.
Mädchen und Jungen in ihrer sexuellen Entwicklung unterstützend zu begleiten, heißt zunächst einmal, sie als sexuelle Wesen wahrzunehmen, kindliche Sexualität als etwas Eigenständiges zu betrachten und die lustvollen Handlungen von Mädchen und Jungen nicht abzutun oder zu ignorieren, sondern als Ausdrucksformen ihrer Sexualität zu sehen.
Wenn wir zwischen kindlicher Sexualität und erwachsener Sexualität unterscheiden, können wir begreifen, dass das Erleben und Erfahren des eigenen Körpers, der Austausch von Zärtlichkeiten, Doktorspiele für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind und den Mädchen und Jungen gut tut.
Sexualerziehung begleitet Mädchen und Jungen bei ihren Lernprozessen im Bereich Körper und Sexualität. Sie hat zum Ziel, Mädchen und Jungen jenseits der gängigen Rollenvorgaben zu fördern, sie in der Entwicklung des Selbstbewusstseins sowie der Liebesfähigkeit zu unterstützen und ihnen einen positiven Zugang zu ihrem Körper und ihrer Sexualität zu geben.
Dazu greift die Sexualerziehung im vorschulischen und schulischen Bereich eine Vielzahl von Themen auf. Die Mädchen und Jungen sollen ihren Körper entdecken und kennen lernen und zu vielfältigen Sinneserfahrungen angeregt werden. Bei körperlichen Bewegungen und im Spiel erfahren sie Selbstwirksamkeit, die Grundlage dafür dass sich das Ich-Gefühl, der Kern des Selbstbewusstseins, gut entwickeln kann. Dies fördert ein positives Körpergefühl und stärkt das kindliche Selbstvertrauen.
Sich im eigenen Körper sicher und wohl zu fühlen, ist eine wichtige Voraussetzung für ein konstruktives Sozialverhalten. Daher ist Sexualerziehung zugleich auch Sozialerziehung, ist Erziehung zu Beziehungs- und Liebesfähigkeit, indem sie erfahrbar macht, wie wichtig Zärtlichkeit, Vertrauen und gegenseitige Achtung sind.
Darüber hinaus bekommen Mädchen und Jungen Anregungen, Geschlechterrollen vielfältig zu gestalten und auf der Suche nach der eigenen Identität damit zu experimentieren. Zudem ist eine geschlechtsdifferenzierte Förderung angebracht. Mädchen und Jungen erhalten eine Sprache, für ihren Körper und Sexualität, die der positiven Bedeutung von Sexualität gerecht wird. Wird hierbei auch kindliche Sexualität thematisiert, ergänzt dies die Erfahrungen, die Mädchen und Jungen bei ihren Selbsterkundungen und den Körpererfahrungsspielen mit anderen machen und gibt ihnen Orientierung bezüglich eigener sexueller Bedürfnisse.
Darüber hinaus erhalten sie Wissen über die Geschlechtsunterschiede, über Zeugung, Schwangerschaft und Geburt und erfahren, dass Sexualität und das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Liebe eng miteinander verbunden sind und im Kontext sozialer Beziehungen steht. Dies ist ein Anknüpfungspunkt, um über Familie und verschiede Formen des Zusammenlebens zu sprechen.
Die Mädchen und Jungen werden auch in der Wahrnehmung ihrer Gefühle und Grenzen gefördert und lernen so, angenehme von unangenehmen Berührungen zu unterscheiden.
Dies alles trägt dazu bei, das die Mädchen und Jungen zu selbstbewussten und selbst bestimmten Persönlichkeiten heranwachsen.
Ihnen wurde sicher deutlich, dass sich viele Bereiche der Sexualerziehung mit denen der Prävention von sexueller Gewalt überschneiden und ergänzen.
Beide haben zum Ziel, Mädchen und Jungen sexuelle Selbstbestimmung, eine sexuelle Entwicklung frei von Gewalterfahrungen zu ermöglichen.
Dies wird am ehesten gelingen, wenn wir zunächst an den positiven Seiten der Sexualität anknüpfen und Mädchen und Jungen einen guten Zugang zum eigenen Körper, zur eigenen Sexualität geben, damit ihnen die Sexualität durch den Blick auf Gefährdungen und Gewalt nicht verleidet wird.
Sexualerziehung ist daher die Basis für Prävention von sexueller Gewalt.
Damit komme ich nun zur Würdigung unseres diesjährigen Preisträgers, dem Wichernzentrum der Diakonie Hasenbergl.
Das Wichernzentrum hat die Bedeutung der Sexualerziehung als einen wichtigen Baustein der Präventionsarbeit erkannt. Dies sollte Ausdruck finden in einem sexualpädagogischen Konzept. Da wir seit vielen Jahren in unseren Veranstaltungen betonen, dass die Sexualerziehung Basis der Präventionsarbeit ist, hat uns das Wicherzentrum damit beauftragt, die Einrichtung bei der Erstellung eines sexualpädagogischen Konzepts zu begleiten.
Diese Herausforderung nahmen wir gerne an.
Gemeinsam mit Fr. Grundner steckte ich den Rahmen für dieses Projekt ab.
Eine Fortbildungsreihe sollte fachliche Impulse geben und zum Austausch über sexualpädagogische Inhalte anregen mit dem Ziel, ein für die Einrichtungen des Wichernzentrums passendes sexualpädagogisches Konzept zu entwickeln.
Um das Thema Sexualerziehung möglichst breit zu streuen und zu verankern, wurden über einen Zeitraum von sieben Monaten VertreterInnen aus allen Einrichtungen des Wichernzentrums in drei Fortbildungsgruppen geschult. Die TeilnehmerInnen der Fortbildung waren Mulitplikatorinnen und hatten zur Aufgabe, die Fortbildungsinhalte in ihren Teams einzubringen.
Zum Abschluss der Fortbildungsgruppen stellten wir die für die jeweiligen Einrichtungen und Zielgruppen relevanten Themen und Fortbildungsinhalte zusammen, die ins Konzept aufgenommen werden sollten.
Durch dieses Vorgehen wurde auf breiter Basis der Austausch und die Diskussion über sexualpädagogische Inhalte im Wichernzentrum angeregt.
Auf der Grundlage dieser Auseinandersetzung kann ein sexualpädagogisches Konzept entstehen, das die Besonderheiten der Einrichtungen berücksichtigt und sich an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert.
Ein erster Entwurf für das Konzept ist bereits fertiggestellt und wird zur Diskussion an alle Einrichtungen des Wichernzentrums verteilt. Dabei werden auch erste Erfahrungen aus der Umsetzung der Fortbildungsinhalte in den pädagogischen Alltag einfließen.
Im Anschluss wird eine Arbeitsgruppe auf dieser Grundlage das Konzept noch einmal überarbeiten.
Die Erstellung des Konzepts ist zwar noch nicht abgeschlossen, aufgrund der geleisteten Vorarbeit und durch dieses Vorgehen, möglichst viele MitarbeiterInnen bei der Erstellung des Konzepts zu beteiligen, bin ich aber zuversichtlich, dass ein umfassendes und handlungsleitendes Konzept entstehen wird.
Ein solches Konzept läuft kaum Gefahr, ungelesen im Schrank zu verstauben.
Im Rahmen dieser Fortbildungen habe ich viele engagierte MitarbeiterInnen des Wichernzentrums kennen gelernt. Die Zusammenarbeit hat mir viel Freude gemacht, da die MitarbeiterInnen neben ihrer fachlichen Kompetenz eine große Bereitschaft zur Selbstreflexion und zur kritischen Überprüfung der eigenen Berufspraxis mitbrachten.
Die Fortbildungsinhalte fielen bei den MitarbeiterInnen auf fruchtbaren Boden. Viele Grundlagen der Sexualerziehung und Prävention, wie z. B. ein respektvoller Umgang mit den anvertrauten Kindern und Jugendlichen, das Ansetzten an den Stärken und Fähigkeiten der Mädchen und Jungen, die Förderung ihrer Selbstbestimmung sowie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit deren Müttern und Vätern war für sie bereits selbstverständlicher Bestandteil ihrer Arbeit.
Auch dies zeichnet das Wichernzentrum aus. Denn kompetente MitarbeiterInnen sind kein Zufall – dahinter steht eine Einrichtung und Leitungen, denen Fachlichkeit und Weiterqualifizierung ihrer MitarbeiterInnen sowie die Weiterentwicklung der
Einrichtung wichtig sind.
Neben dem Engagement für die sexualpädagogische Arbeit, sind auch die Themen Prävention von sexuellem Missbrauch und Intervention feste Bestandteile der Arbeit des Wichernzentrums.
Auch im Bereich der Prävention achtet das Wichernzentrum darauf, seine MitarbeiterInnen weiterzuqualifizieren. Immer wieder nahmen MitarbeiterInnen des Wichernzentrums an unseren Fortbildungen zu Themen wie Verdachtsabklärung bei sexuellem Missbrauch, Hilfen zur Einführung des §8a und sexuellen Übergriffen unter Kindern teil. Auch Inhouse-Fortbildungen zu Themen der Prävention und Intervention wurden durchgeführt.
Dadurch herrscht im Wichernzentrum eine Atmosphäre des Hinschauens – die MitarbeiterInnen sind hellhörig bezüglich sexueller Gewalt auf allen Ebenen. Auch das Thema Missbrauch in Institutionen wird ernst genommen, der Umgang nicht nur der pädagogischen sondern aller MitarbeiterInnen mit den Mädchen und Jungen der Einrichtung wird kritisch hinterfragt.
Durch all diese Maßnahmen trägt das Wichernzentrum wesentlich zum Schutz der ihm anvertrauten Kinder und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen bei.
Daher hat die Mitfrauenversammlung unseres Vereins im November 2009 einstimmig beschlossen, dem Wichernzentrum als Anerkennung und Dank für seine Anstrengungen, Sexualerziehung und Prävention in seinen unterschiedlichen Einrichtungen möglichst breit zu verankern, den Präventionspreis 2010 zu verleihen.
Wir freuen uns, Ihnen in diesem feierlichen Rahmen den AMYNA-Präventionspreis und zudem einen Scheck in Höhe von 3000.- € überreichen zu können.
Durch die freundliche Unterstützung und das Engagement von Frau Miriam Adolf-Betz von der Firma Betz-Chrom ist dies nun schon im 2. Jahr möglich.
Wir freuen uns sehr, Sie, Frau Adolf-Betz, als Mitstreiterin für den Schutz von Mädchen und Jungen gefunden zu haben. Dafür vielen Dank!
Sehr geehrte Preisträger, wir freuen uns sehr, Ihnen als Anerkennung und Dank für Ihre Arbeit zum Schutz von Mädchen und Jungen den Präventionspreis 2010 überreichen zu dürfen. Stellvertretend für das Wicherzentrum dürfen nun Sie, Frau Grundner und Frau Küfner, den Preis in Empfang nehmen.